Von Ost nach West entlang der türkischen Südküste

Da waren wir. Endlich am Mittelmeer. So lange hatten wir der Ankunft hier mit großer Vorfreude entgegengesehen. Kurz hinter Mersin steigen wir aus dem Bus und werden von der Sonne begrüßt. So haben wir es uns vorgestellt! Die Motivation war groß, denn am Ende der knapp 700 Kilometer langen Strecke, die vor uns lag, wartete ein schönes Häuschen in der Natur auf uns und unsere Familien sollten zu Besuch kommen.

Im kleinen Ort Kizkalesi (übersetzt „Mädchenburg“) ein Tag Pause zum Akklimatisieren nach der langen Busfahrt und dann geht’s endlich wieder auf die Räder. Das Wetter ist okay, durchwachsen, aber es kommt immer mal die Sonne raus und so genießen wir unseren ersten Eiskaffee des Jahres am 15. Januar draußen auf einer Terrasse in der kleinen Stadt Silifke.

Der Sonnenschein hält allerdings nicht lange und bald ziehen dunkle Regenwolken auf. Schon ärgerlich, wollten wir doch nach so langer Pause endlich wieder campen. Wir checken den Wetterbericht und leider wird es nicht besser, sondern die nächsten Tage eher schlechter. Es ist viel Regen angesagt und deswegen nehmen wir uns für die nächsten zwei Nächte eine Unterkunft im nahegelegenen Bogsak. Wir wollen wieder draußen schlafen, aber auch nur, wenn die Bedingungen passen. Klein Armin soll das Campen mit etwas Positivem verbinden und nicht gleich in der ersten Nacht pitschnass werden.

Wir haben richtig entschieden, denn tags darauf schüttet es wie aus Eimern. Außerdem ist der Bungalow, den wir gebucht haben, total gemütlich und wir haben auf engsten Raum alles was wir brauchen. Unsere Gastgeberin Elif ist auch super (hunde)lieb und steht uns stets mit Rat und Tat zur Seite.

Gut ausgeruht steigen wir bei strahlendem Sonnenschein wieder auf die Räder und sind – noch – guter Dinge, dass es heute mit dem Zelten auf jeden Fall klappen wird. Wir haben aber unsere Rechnung ohne das launische Küstenwetter gemacht! Gerade als wir unseren Campspot erreichten – der zugegebenermaßen ganz und gar nicht unseren Vorstellungen entsprach – waren schon schwarze Wolken im Anmarsch und wir suchten Unterschlupf im nächstgelegenen bezahlbaren Hotel. Es war das Einfachste vom Einfachen, aber wir waren froh, die Nacht im Trockenen zu verbringen.

Neuer Tag, neues Glück? Von wegen! Diesmal fängt es bereits vormittags an zu schütten. Und zwar so heftig, dass wir kaum noch etwas sehen. Ein paar Männer winken uns in ihr Strandcafé, wo wir uns aufwärmen können. Was wir erst als nette Geste interpretieren, entpuppt sich später – unserer Ansicht nach – als totale Abzocke. Es wird uns türkischer Kaffee und Tee angeboten, den wir dankend annehmen, da wir total durchnässt und durchgefroren sind. Dass wir am Ende eine saftige Rechnung von umgerechnet zehn Euro präsentiert bekommen, irritiert uns doch sehr.

Wir merken schnell, dass wir nun im Süden angekommen sind. In der Touristenregion der Türkei. Hatten wir im vergangenen Sommer am Schwarzen Meer großartige Gastfreundschaft und aufrichtiges Interesse an unserer Reise erlebt, hatten wir hier den Eindruck, dass man nur freundlich zu uns ist, um im Gegenzug etwas zu bekommen. Das ist natürlich total subjektiv und wir würden niemals alle Menschen einer Region über einen Kamm scheren. Auch im Süden der Türkei trafen wir viele nette Leute und fühlten uns willkommen. Aber so war nun einmal unser Gefühl in diesem Moment.

Wir schauten permanent auf den Regenradar in der Hoffnung auf Besserung, aber es tat sich nichts. Der Starkregen sollte noch den ganzen Tag weitergehen. Also buchten wir spontan zwei Nächte in einem Hotel im zwanzig Kilometer entfernten Bozyazi. Morgen sollte das Wetter zwar besser werden, aber all unsere Sachen inklusive Armins Transportbox waren komplett durchnässt und wir brauchten einen Tag um alles zu trocknen.

Beim Check-in dann ausnahmsweise mal eine positive Überraschung: wir bekommen ein Upgrade! Vom gebuchten Standard-Doppelzimmer auf eine großzügige Familiensuite mit Schlafzimmer, Wohnbereich, Küche und zwei Balkonen! Zum Frühstück wird extra für uns ein großer Obstteller vorbereitet und auch sonst wird alles getan, um unseren Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten.

Nach einer spontanen dritten Nacht in der Suite (weiterhin ohne Aufpreis gegenüber dem normalen Zimmer!) kann es endlich weitergehen. Es ist zwar sehr windig, aber die Sonne scheint und es sieht so aus, als würde es heute einmal trocken bleiben. Bei über zwanzig Grad und mehr als eintausend Höhenmetern kommen wir ganz schön ins Schwitzen. Zumal wir jetzt etliche Kilos mehr schleppen dank Armin, Anhänger, Hundefutter etc.

Aber wir schaffen es und finden am Ende des Tages sogar einen Platz wo wir unser Zelt aufschlagen können. Zwar nicht wie wir es uns vorgestellt haben direkt am Strand mit einer schönen Aussicht, sondern auf dem verwahrlosten Gelände eines verlassenen Hauses am Rande eines kleinen Dorfes. Ohne Charme, dafür mit endlosen Bananenplantagen, Gewächshäusern und Fabriken. Dieses Bild soll auch die nächsten paar Hundert Kilometer unserer Strecke prägen.

Zumindest was den Campingspot angeht haben wir am nächsten Tag mehr Glück. Wir können mal für ein paar Kilometer von der Autobahn abfahren und nehmen eine ruhige Küstenstraße Richtung Alanya. Auf dem Weg finden wir einen Strand, der durch eine Zufahrt auch für uns mit unseren Rädern zugänglich ist. An einem Ende des Strandes steht eine Holzkonstruktion, was wohl mal ein Restaurant oder eine Strandbar gewesen sein muss. Jedenfalls bietet sie den perfekten Untergrund für unser Zelt. Vince gönnt sich sein erstes Meeresbad des Jahres und ich bereite auf der ehemaligen Bartheke unser Abendessen zu.

Am nächsten Tag geht es weiter nach Alanya, vorbei an unzähligen Bananenplantagen. Immer wieder gibt es auch Verkaufsstände, wo wir die süßen Früchte zum günstigen Preis erstehen können. Die Region um Alanya ist der Obstgarten der Türkei. Auch viele exotische Früchte gedeihen hier; neben Bananen gibt es Mangos, Avocados und sogar Maracujas! Wie im gesamten Mittelmeerraum gibt es natürlich auch viele Zitrusfrüchte und gerade ist Saison. Die Orangen hier sind die besten, die wir je gegessen haben. Und im Vergleich zu Deutschland sind sie hier spottbillig. Schon der süße Geruch, der uns beim Vorbeiradeln in die Nase steigt, lässt uns das Wasser im Mund zusammenlaufen.

In der Küstenstadt angekommen, beziehen wir unser Quartier für die kommenden zwei Nächte und prompt fängt es wieder an zu regnen. Perfektes Timing! An unserem Pausentag schauen wir uns trotz schlechtem Wetter die Stadt an und besuchen die beeindruckende Burg, die wir fast ganz für uns allein haben. Bei klarem Himmel muss die Aussicht von oben fantastisch sein, aber sicherlich müsste man sich diese dann auch mit deutlich mehr Touristen teilen.

Nächster Stopp: Side. Der Regen hat zwar aufgehört, dafür haben wir jetzt heftigen Gegenwind. Die ausnahmsweise mal flache Strecke wird also dennoch zur krassen Herausforderung. Endlich angekommen, beschließen wir auf einem Campingplatz zu übernachten und uns am nächsten Tag die antike Stätte anzuschauen. Als Jugendliche war ich hier bereits einmal im Familienurlaub gewesen, konnte mich aber nicht an diese spektakulären Ausgrabungen erinnern. Damals interessierte ich mich wahrscheinlich mehr für den Strand als für kulturelle Aktivitäten…

Da die Temperaturen zu unserem Erstaunen nachts bis auf den Gefrierpunkt runtergingen, nahmen wir uns für die zweite Nacht ein Hotelzimmer direkt neben dem Campingplatz. Ein echter Glücksgriff! Wir hatten ein geräumiges Zimmer mit Balkon und von der Hotelterrasse, auf der auch das inkludierte Frühstück serviert wurde, hatte man eine mega Aussicht auf das Meer und die Berge. Ja, eine recht flache Tagesetappe lag noch vor uns und dann müssen wir wieder Höhenmeter schrubben. Aber die Auszeit im hübschen Haus soll ja auch verdient sein, richtig?

Fast neunzig Kilometer trennten uns noch von Antalya, der Millionenstadt am Mittelmeer. So viel waren wir seit wir Armin dabei haben noch nicht an einem Tag gefahren. Zum Glück hatte der Wind etwas nachgelassen und so schafften wir die große Etappe und es war sogar noch Zeit für eine Kaffeepause am Meer, bevor wir uns auf die Suche nach unserer Unterkunft machten.

Wir hatten eine kleine Wohnung etwas außerhalb vom Stadtzentrum am kilometerlangen Sandstrand gebucht, wo wir zwei Pausentage einlegten. Und Überraschung: der Regen war zurück! Aber nicht weiter schlimm, wir hatten ohnehin nicht vor auf der faulen Haut am Strand zu liegen, denn wir hatten einiges zu erledigen. Wir wollten es ausnutzen, in einer Großstadt zu sein und ein paar Besorgungen machen. Eine neue Matratze musste her und noch ein paar Kleinigkeiten, die wir hofften im Baumarkt zu finden. Da es in Antalya sogar einen Decathlon gibt, waren wir zuversichtlich, fündig zu werden, aber das war leider Wunschdenken.

Wir hatten gerade noch genug Zeit, das Benötigte online zu bestellen, sodass unsere Familien es uns mitbringen können. Wir entdeckten nicht weit von unserer Unterkunft ein tolles veganes Restaurant, wo ich endlich rein pflanzliche Manti, eine Art türkische Ravioli, probieren konnte. So ließen wir unseren Aufenthalt in Antalya lecker ausklingen. Von den hausgemachten Cookies, die uns aus der Vitrine anlachten, nahmen wir zwei mit für die anstehende Radeletappe.

Und die Energie brauchten wir auch. Sobald wir aus Antalya raus waren, ging es nur noch bergauf und bergab im Wechsel. Etliche Höhenmeter galt es zu überwinden und das alles auf einer viel befahrenen Hauptstraße. Wir hatten von vielen Reisenden und auch Einheimischen gehört, dass dieser Streckenabschnitt besonders schön sein soll, also Augen zu und durch. Es ist ja auch tatsächlich meistens so, dass sich die besonders schwierigen Strecken am meisten lohnen.

Belohnt wurden wir definitiv! Am Ende des Tages bogen wir von der Hauptstraße ab und fuhren über mehrere Kilometer durch steile Kurven bergab in den Ferienort Cirali. Hier bezogen wir einen gemütlichen kleinen Holzbungalow und machten nach dieser anstrengenden Etappe einen Pausentag und verbrachten ein paar schöne Stunden am Strand. Dieser ist vergleichsweise sauber, denn hier befindet sich eine wichtige Eiablagestelle der geschützten Meeresschildkröte. Es ist noch immer Januar, dementsprechend sind kaum Touristen da und wir haben den Strand quasi für uns.

Für den nächsten Radeltag haben wir uns mal wieder ganz schön was vorgenommen: 75 Kilometer und mehr als 900 Höhenmeter bergauf. Dazu kommt, dass wir gleich zu Anfang einen Abschnitt von mehreren hundert Metern durch den Sand und über eine Baustelle an der antiken Stadt Olimpos schieben bzw. zum Teil die Räder tragen müssen. Vorteil: wir bekommen eine gratis Besichtigung der antiken Stätte. Diese erste Hürde des Tages gerade hinter uns gebracht, lässt die erste große Steigung nicht lange auf sich warten. Wir kommen ganz schön ins Schwitzen und fragen uns, wie wir solche Strecken nur im Sommer schaffen sollen. Die Aussicht bei der Abfahrt entschädigt dann, wie erhofft, für die Anstrengungen und wir holen kilometermäßig gut auf.

Es folgt eine wirklich schöne Partie entlang der Küste mit ein paar tollen Ausblicken auf Berge und Meer. Allerdings sind wir wieder auf der vollen Hauptstraße und kommen nicht dazu, einen Fotostopp zu einzulegen. Es geht weiterhin auf und ab und auf den letzten Kilometern sind wir am Ende unserer Kräfte. Wir sind froh, als wir endlich in unserer Unterkunft ankommen und dürfen mal wieder einen sehr komfortablen Bungalow unser Zuhause für die Nacht nennen. Morgens gibt es dann noch das beste Frühstück, das wir in der Türkei je hatten: frisches Brot, hausgemachte Konfitüren, Nüsse aus der Region und Orangen und Pampelmusen direkt aus dem eigenen Garten. Besser kann der Tag nicht starten!

Glücklicherweise gibt es für die folgende Etappe wieder eine Alternativroute zur Hauptstraße. Körperlich auf jeden Fall anstrengender, aber dafür ohne den unerträglichen Verkehr. Die Wahl ist schnell getroffen. Hier kann Armin auch mal frei mitlaufen, ohne dass wir ständig Angst haben müssen, dass er überfahren wird. Es geht stetig bergauf und es fängt leicht an zu regnen. Da wir in einer sehr ländlichen Gegend sind und die Küste verlassen haben, ist die Auswahl an Unterkünften überschaubar. Naja, in einem Umkreis von dreißig Kilometern gibt es laut Internet genau eine Unterkunft, die eventuell geöffnet ist. Eventuell!

Wir beschließen unser Glück zu versuchen und atmen auf, als wir das offene Tor und ein paar Leute sehen, die davor stehen. Wir haben nämlich einen ganz schönen Umweg in Kauf genommen, um zur Pension zu kommen. Offen haben sie also schonmal. Als es dann aber darum geht, unseren Hund mit aufs Zimmer zu nehmen, heißt es dann auf einmal doch „nein“. Genervt ziehen wir ab und schlagen letztendlich unser Nachtlager vor der Dorfmoschee auf, denn den Weg hinauf wieder raus aus dem Dorf zu fahren, schaffen wir heute nicht mehr.

Der nächste Tag startet also mal wieder mit einem Anstieg, der es in sich hat. Darauf folgt eine Abfahrt, die uns nicht weniger fordert! Aber erstmal genießen wir die Aussicht auf die wunderschöne Küstenlandschaft und die vorgelagerten kleinen Inselchen. Die Aussicht ist atemberaubend! Als wir auf das kleine Städtchen Kaş zusteuern, werden die Straßen immer steiler. Wir überlegen wirklich kurz, ob wir da runter fahren können. Halten unsere Bremsen das aus? Na klar, Vince hat doch erst eine Neue bekommen und meine sind noch gut in Schuss. Also runter da! Diese letzte große Herausforderung überwunden, landen wir direkt im Zentrum des malerischen Küstenorts Kaş mit seinen hübschen Boutiquen und den Holzbalkonen, die die Häuserreihen schmücken.

Jetzt erstmal Mittagspause! Es gibt in Kaş sogar ein veganes Restaurant. Das müssen wir natürlich ausprobieren. Und wir werden nicht enttäuscht. Wir bestellen beide eine riesige Bowl die gut befüllt ist mit frischem Salat, Reis, Tempeh (eine Premiere in der Türkei), reichlich Gemüse und veganer Salatcreme. Dazu gibt’s erfrischenden Kombucha – ein Traum. Für die Nacht nehmen wir uns ein einfaches Hotelzimmer in der Stadt, um uns auszuruhen für die finale Etappe zu unserem „Winterdomizil“, das nur noch vierzig Kilometer entfernt ist.

Unser Ziel: Patara. Offiziell heißt das Dorf Gelemis, ist aber eher bekannt unter dem Namen der antiken Stätte bzw. auch des Strands „Patara Beach“. Der Ort liegt zwischen Kaş und Fethiye an der lykischen Küste.

Der letzte Abschnitt wird noch einmal knackig. Es ist gerade einmal Anfang Februar, aber die Sonne brennt uns schon ganz schön auf die Rübe. Auf halber Strecke machen wir Pause in dem Urlaubsort Kalkan, wo wir uns mit Cigköfte und Mandelcappuccino stärken, bevor die letzten Kilometer in Angriff genommen werden. Kurz vor Erreichen der Unterkunft gibt es noch den obligatorischen Anstieg, das große Finale. Oben angekommen, sind es nur noch ein paar Meter und als wir endlich vor unserer Unterkunft stehen, können wir unseren Augen kaum glauben: es ist einfach noch schöner, als es auf den Bildern aussah! Wir sind so begeistert von der Terrasse und dem weitläufigen Garten mit der fantastischen Aussicht aufs Meer, dass wir fast vergessen, uns das Haus von innen anzuschauen.

Und auch hier werden wir nicht enttäuscht: das „Lavendelhaus“ ist mit allem ausgestattet, was man braucht. Ich bin sofort hin und weg von der Küche mit moderner Küchenzeile und allen möglichen Utensilien – sogar zwei Kaffeemaschinen gibt es. Für uns purer Luxus! Hier kann man es auf jeden Fall aushalten. Später lernen wir unsere Gastgeber kennen, ein super liebes türkisch-englisches Pärchen, die uns viele tolle Tipps für die Umgebung geben und uns noch Feuerholz und frisches Gartengemüse vorbeibringen.

In den nächsten Tagen erkunden wir den Weg zum Strand von Patara, der übrigens über einen Teil des Fernwandertrails „Lykischer Weg“ verläuft. Der kilometerlange Sandstrand sowie auch der Weg dorthin sind traumhaft schön und einfach Natur pur – also genau das, was wir uns gewünscht hatten. Hier ist der Frühling bereits angekommen: es ist unglaublich grün und überall blüht es am Wegesrand. Wir streifen durch Olivenhaine und Pinienwälder und immer wieder erhaschen wir einen Blick auf das glitzernde Meer.

Noch ein paar Einkäufe erledigen und dann ist es endlich soweit: meine Eltern, meine Schwester und meine Oma kommen uns besuchen! Es ist so schön, sie nach so langer Zeit wiederzusehen und wir verbringen zehn Tage zusammen, die natürlich wie im Flug vergehen. Wir feiern den 30. Geburtstag meiner Schwester am Strand und machen ein paar kleine Ausflüge in die nähere Umgebung. Wir wollen nicht viel im Auto sitzen und herumfahren, sondern die kurze gemeinsame Zeit so gut es geht genießen.

Als meine Familie abreist, gibt es einen fliegenden Wechsel, denn noch am selben Tag kommen Vince’ Cousine und Cousin an. Wir verbringen knapp eine Woche zusammen, die natürlich auch wieder viel zu schnell vorbei ist. Diese Woche ist gefüllt mit etlichen Strandbesuchen und vielen sonnigen Stunden auf unserer Terrasse.

Dann sind wir auf einmal wieder allein. Erstmal ein komisches Gefühl nach insgesamt zweieinhalb Wochen ununterbrochen umgeben von Menschen und die ganze Zeit damit beschäftigt, auf die Bedürfnisse aller einzugehen und die hungrigen Mäuler zu versorgen. Natürlich war die gemeinsame Zeit wunderschön, aber es war auch fordernd für uns. Wir, die seit nunmehr neun Monaten ständig nur zu zweit – bzw. seit Kurzem zu dritt – unterwegs waren, sind so viel Trubel gar nicht mehr gewöhnt.

Jetzt müssen wir uns wieder an das Alleinsein gewöhnen. Wir kommen zur Ruhe und genießen es, einfach mal nichts zu tun. Wir erkunden die nähere Umgebung größtenteils zu Fuß und Armin hat die Zeit seines Lebens. Mitten in der Natur und ein Spielkamerad ist nie weit. Jetzt, ein paar Wochen später, als ich diese Zeilen schreibe, kann ich immer noch sagen, dass das einer der schönsten Orte ist, die wir auf unserer Tour bisher bereisen durften.

Wir rutschten in eine neue Routine hinein, eine Art neuer Alltag. Das morgendliche Joggen zum Strand, dienstags und donnerstags der Marktbesuch, nachmittags der große Spaziergang in der Natur. Wir lieben es hier! Und doch kommt schnell der Wunsch, weiter zu radeln und Neues zu entdecken. Sind wir eigentlich nie zufrieden?

Eines Nachmittags bekommen wir „von oben“ ein Signal, dass es vielleicht Zeit ist, unser neues bequemes Leben zu verlassen und uns wieder auf den Weg zu machen. Am Nachmittag des 5. März sitzen wir im Wohnzimmer. Wir lassen den täglichen Spaziergang heute ausfallen, da für den ganzen Tag Regen gemeldet ist. Dann kommt auf einmal ein Sturm auf und wir sehen, wie die Bäume im Garten beinahe horizontal auf den Boden gedrückt werden. Plötzlich hören wir leises Krachen über uns. Teile vom Deckenputz kommen herunter, lauter weiße Schnipsel fallen wie Schneeflocken zu Boden. Nichts wie raus hier! Die Decke kommt gleich runter! Wir packen den Hund und rennen panisch zur Haustür und haben alles richtig gemacht: Sekunden später, vielleicht waren es sogar nur Bruchteile einer Sekunde, bricht die gesamte Wohnzimmerdecke herunter und begräbt alles unter sich. Inklusive des Sofas, auf dem wir gerade noch saßen.

Wie wir später erfahren, zog ein Tornado über die Küste und wir haben es mit am schlimmsten abbekommen. Zum Glück ist niemand verletzt! Unsere Gastgeber sind innerhalb weniger Minuten vor Ort und fragen besorgt, ob alles in Ordnung sei. Sie haben nebenan noch ein Haus, in das wir umziehen können für die letzten Tage unseres Aufenthalts. Wir sind uns einig: das war ein Zeichen, dass wir endlich wieder in den Sattel müssen!

Und so geht es an einem Montag im März wieder los. Wir wollen weiter Richtung Westen und dann noch ein Stück an der Ägäis entlang bis Kusadasi radeln, um von dort aus per Fähre auf die griechischen Inseln und schließlich nach Athen rüberzusetzen. Knapp vier Wochen haben wir noch Zeit, bis wir die Türkei nach nunmehr drei Monaten verlassen müssen. Was wir auf dem letzten Abschnitt unserer Tour von Ost nach West so erleben, erfährst du im nächsten Bericht.