Armin aus Armenien
Nach zwei wunderschönen Pausentagen in dem kleinen Bergdorf Tatev machten wir uns auf den Weg Richtung Iran. Noch einen großen Pass von über 2.500 m Höhe hatten wir vor uns und in ein paar Tagen sollten wir endlich das Land erreichen, worauf wir uns schon so lange gefreut hatten und auf das wir vor allem sehr neugierig waren. Doch wie so oft im Leben kam mal wieder alles anders als geplant…
„Vince, hast du den kleinen Hund gesehen?“ rufe ich. „Nö“ bekomme ich als Antwort. Ein paar Sekunden später hören wir aber beide das leise Fiepen hinter uns und halten an. Ein süßer, aber verdreckter und schwacher Welpe versuchte unsere Aufmerksamkeit zu bekommen und bei dem Anblick konnten wir natürlich nicht einfach weiterfahren. Wir schauten uns um, ob nicht irgendwo andere Hunde, zum Beispiel Geschwister oder Eltern zu finden sind. Aber weit und breit keine Spur. Nur vorbeitosende LKW, die einen ohrenbetäubenden Lärm verursachen. Es ist für uns schon schwer erträglich, hier am Straßenrand zu stehen, wie muss das nur für das junge Hündchen sein?
Alles, was wir noch an Proviant haben, sind ein paar Kekse, die wir sofort dem Kleinen zuwerfen. Er ist so ängstlich, aber der Hunger ist dann doch größer und so schnappt er sich immer wieder ein Stückchen, rennt aber immer sofort wieder weg. Da er so schreckhaft ist und jedes Mal wegläuft, als wir versuchen uns ihm zu nähern, beschließen wir nach ein paar Minuten weiterzufahren.
Doch der Kleine läuft uns wieder hinterher. Wir wiederholen das ganze Spiel. Beim dritten Mal ist uns klar: der kleine Hund braucht Hilfe, er wird allein wahrscheinlich nicht überleben. Also verbringen wir ca. eine Stunde mit ihm, bis wir es schaffen, ihn anzufassen und schließlich in eine unserer Fahrradtaschen zu legen. Unser spontaner Plan: bis in die nächste Stadt fahren und ein Tierheim oder Ähnliches finden, wo der Kleine in guten Händen ist.
Wir radeln noch ca. 30 km mit dem kleinen Wesen in Vince‘ vorderer Radtasche, bis wir die Stadt Kapan erreichen. Hier fragen wir uns durch, bis wir zumindest schonmal einen Tierarzt finden. Hier wird er erst einmal desinfiziert und bekommt eine Wurmkur. Der Tag neigt sich dem Ende und wir müssen uns langsam eine Unterkunft für die Nacht suchen. Eigentlich wollten wir heute wild zelten, aber daraus wird nun wohl nichts. Wir brauchen einen Ort, an dem wir uns sortieren können und uns Gedanken machen können, was mit dem Welpen passieren soll. Nach drei erfolglosen Versuchen, ein Hotelzimmer zu finden, das uns und unseren kleinen Schützling spontan aufnimmt, finden wir in letzter Minute zum Glück noch ein nettes Gasthaus, wo wir die Nacht verbringen dürfen.
Uns wird schnell klar, dass es in Armenien so gut wie keine Einrichtungen für ausgesetzte oder verwahrloste Tiere gibt. Die wenigen Anlaufstellen, die es im Land gibt, befinden sich in der Hauptstadt Jerewan, von der wir nun fünf Autostunden – oder fünf Radeltage – entfernt sind. Außerdem nehmen die meisten keine Welpen auf. Was also tun? Wir verlängern unser Zimmer im Gasthaus immer wieder, weil wir uns schwertun, eine Entscheidung zu treffen. Den Kleinen einfach zurücklassen? Das können wir uns jetzt schon gar nicht mehr vorstellen! Ihn mit in den Iran nehmen? Dafür bräuchte er einen Pass, Impfungen und einen Chip und wir müssten unsere Reise für Wochen pausieren. Das ist für uns aus verschiedenen Gründen auch keine Option. Außerdem soll das Land nicht gerade hundefreundlich sein.
Was wäre denn, wenn wir jemanden finden, der auf den Kleinen aufpasst, solange wir im Iran sind und danach reisen wir zu dritt weiter? Ehrlich gesagt glaubten wir nicht daran, dass wir jemanden finden. Aber hier war das Glück auf jeden Fall auf unserer Seite. Über unsere Gastgeberinnen in Tatev, bei denen wir wenige Tage zuvor übernachtet hatten, bekamen wir den Kontakt zu Karen, der sich bereit erklärte, den Welpen für eineinhalb Monate zu sich zu nehmen und noch dazu wohnt Karen in Kapan. Es passt also alles perfekt!
Nun ist die Entscheidung gefallen: wir adoptieren Armin – so haben wir den kleinen Süßen getauft – und holen ihn nach unserer Zeit im Iran wieder in Kapan ab. Ein paar Tage und Tierarztbesuche später sind alle startklar: Armin hat seine erste Impfung und seinen Microchip bekommen, er hat Karen kennengelernt und wir sind bereit, die letzten Kilometer bis in den Iran zu radeln. Wir haben nun eine Woche in Kapan mit dem kleinen Armin verbracht und der Abschied fiel uns natürlich schwer. Aber wir hatten das sichere Gefühl, dass er in guten Händen ist und wir freuten uns, nun doch endlich dieses geheimnisvolle Land zu entdecken, über das wir bereits so viel gehört hatten…