Svanetische Türme und der erste Platten
Drei Wochen sind wir nun schon in Georgien. Und wir sind immer noch im Westen des Landes und noch über 200 Kilometer von Tiflis entfernt. Anfang August sind wir über die Schwarzmeerküste angekommen und haben uns erst einmal ein paar Nächte in einem Studio eingebucht um zu akklimatisieren. Wir waren doch sehr überrascht von dem subtropischen Klima an der Küste. Nur wenige Kilometer zuvor, in der Türkei, war es heiß und trocken. In Georgien war es auf einmal schwül und man schwitzte einfach nur aus jeder Pore. Ziemlich unangenehm. Zu diesem Zeitpunkt konnten wir uns nicht annähernd ausmalen, wie dieses Land uns noch verzaubern wird…
Die Tage an der Küste waren – trotz des für uns sehr unangenehmen Klimas – recht entspannt und wir haben es sehr genossen, endlich mal wieder ein Glas Wein zu trinken und die ganzen vegetarischen und veganen Köstlichkeiten zu probieren. Uns wurde aber schnell klar, dass wir schleunigst von der Küste weg wollen und entschieden uns nach einigem Zögern, nach Svanetien zu radeln. Es wurde uns von anderen Reisenden sowie von einem georgischen Kollegen empfohlen und wir hatten sowieso wieder richtig Lust auf Berge. Wir freuten uns auf angenehmeres Klima und die beeindruckenden Landschaften.
Auf dem Weg nach oben machten wir Halt in einem Gasthaus, wo wir erstmals wahre georgische Gastfreundschaft erleben durften. In den ersten Tagen empfanden wir die Georgier als recht wortkarg und nicht sonderlich aufgeschlossen. Das änderte sich nun komplett. Bei Nazi (gesprochen: Nasi) zuhause wurden wir bestens umsorgt und es gab auch die ein oder andere Umarmung. Wir fühlten uns bei ihr so wohl, dass wir spontan eine zweite Nacht blieben.
Alles richtig gemacht! Denn am zweiten Tag machen wir auf Nazis Empfehlung einen Ausflug zu einem wunderschönen Wasserfall, den man nur zu Fuß erreichen kann. Wir parkten die Fahrräder gegen ein kleines Trinkgeld bei einer Familie und machten uns auf den Weg. Der Weg zum Wasserfall war recht anspruchsvoll und wir mussten ein paar Mal klettern, aber es hat sich auf jeden Fall gelohnt! Wir konnten im glasklaren (und eiskalten!!!) Wasser baden und es gab zahlreiche tolle Fotomotive. Abends kam dann ein weiterer Gast ins Guesthouse, Marco aus Italien. Er war auch mit dem Rad unterwegs, also tauschten wir uns den ganzen Abend über unsere Abenteuer aus. Wir aßen zusammen zu Abend und natürlich gab es reichlich hausgemachten Wein. Ein perfekter Tag!
Am nächsten Morgen verabschiedeten wir uns schweren Herzens von unserer süßen Gastgeberin. Gleichzeitig waren wir voller Vorfreude, endlich die berühmten Berge und historischen Dörfer von Svanetien zu entdecken. Zur Stärkung gab es zum Frühstück erstmal einen Schnaps (Cha Cha) und von Marco bekamen wir viele tolle Tipps für die Strecke, denn er war in der entgegengesetzten Richtung unterwegs.
Mit unserem Enthusiasmus war es aber bald erst einmal vorbei, denn Vince stürzte. Es ging bergab und wir hatten mindestens 20 km/h drauf. Zum Glück (!!!) war nur sein Lenker kaputt und Vince hatte nur leichte oberflächliche Verletzungen. Es hätte auch ganz anders ausgehen können! Trotzdem saß der Schock erst einmal tief und wir radelten ins nächste Dorf und suchten uns ein Hotelzimmer, um uns auszuruhen. So hatten wir uns unsere erste Bergetappe nicht vorgestellt!
Am nächsten Tag ging es weiter Richtung Mestia, der Hauptort der Region Obersvanetien. Es ging den ganzen Tag bergauf, was bei der Hitze ziemlich anstrengend war. Unterwegs trafen wir dann noch Adam aus der Erich-Weinert-Straße im Prenzlauer Berg, wir sind also praktisch Nachbarn! Wie klein die Welt doch ist!
Am späten Nachmittag checkten wir im Becho House ein, ein Gasthaus ca. 20 km vor Mestia. Danke nochmal an Marco für den Tipp; es war einfach traumhaft! Wir wurden mit einem fantastischen veganen Dinner und georgischem Wein verwöhnt. Den spektakulären Ausblick von der Terrasse gab es gratis dazu. Der Gastgeber und die ganze Familie waren total herzlich und wir verbrachten eine erholsame Nacht in den bequemsten Betten seit langem 😊Und auf einmal war das Klima so angenehm! Tagsüber war es zwar immer noch sehr warm, aber abends wurde es schön frisch und wir mussten seit Wochen mal wieder unsere Pullover unten aus den Packtaschen kramen!
Natürlich gab es wieder ein üppiges Frühstück und gut gestärkt machten wir uns auf zur letzten kleinen Etappe nach Mestia, wo wir uns für drei Nächte ein Studio gemietet hatten. Das war auf jeden Fall die richtige Entscheidung, denn nach den 2.500 Höhenmetern, die wir in den vergangenen zwei Tagen bewältigt hatten, brauchten wir eine Verschnaufpause. Außerdem ist Mestia und seine Umgebung so schön, dass es viel zu schade wäre, einfach nur durchzufahren.
Das Ortszentrum ist sehr touristisch und wir waren nach dem ersten Abend ein wenig enttäuscht von Mestia. Zum Glück sind wir dann aber zu Fuß ein bisschen abseits des Zentrums herumgelaufen und haben ein wunderschönes, altes, authentisches Viertel entdeckt, wo es uns super gefallen hat. Es liegt oberhalb des Zentrums und es gibt unzählige svanetische Türme und sooo viele Fotomotive. Auch nette Cafés und Restaurants gibt es dort oben. Also haben wir es uns noch einmal richtig gut gehen lassen, bevor es aufging zu unserer bis dato schwierigsten Etappe: wir wollten mit den Rädern nach Ushguli, ins höchstgelegene Dorf Europas auf über 2.000 Metern.
Wir starteten morgens um Viertel vor sieben Uhr. Ein weiterer Rekord für uns, denn so früh ging es bei uns noch nie los 😀 Es waren nur ca. 10 Grad, solche Temperaturen waren wir auch nicht mehr gewohnt. Also Jacke drüber und los geht´s! Hoch motiviert und gut gelaunt ging es die ersten Kilometer etliche Höhenmeter nach oben, aber ohne zu krasse Steigungen. Dann folgte eine kilometerlange Abfahrt, mit der wir so gar nicht gerechnet hatten. Bis dahin also alles ganz entspannt. Und die Aussicht! Es war traumhaft.
Gegen 11 Uhr näherten wir uns schon unserem Ziel, aber wie es auf unserer Tour häufig der Fall war, waren auch hier die letzten fünf Kilometer wieder die schlimmsten. Die asphaltierte Straße war zu Ende, es gab nur noch Schotterpiste, dazu Bauarbeiten, Steigungen mit 15 % und die ganzen Geländewagen und Minibusse, die die Touris nach Ushguli karren. Endlich im Ort angekommen, die nächste Überraschung: unser gebuchtes Zimmer ist nicht mehr verfügbar. Das war wirklich frustrierend! Nach dieser kräftezehrenden Etappe hatten wir uns so sehr auf eine Unterkunft gefreut und dann sowas! Glücklicherweise konnten wir schnell eine andere Bleibe organisieren und es war alles halb so schlimm.
Wir sind so froh, dass wir die Strapazen auf uns genommen haben und nach Ushguli gefahren sind. Wenn man in Georgien ist, sollte man sich diesen magischen Ort auf jeden Fall ansehen. Es war relativ schnell klar, dass wir nicht direkt am nächsten Morgen weiterfahren, vor allem nach der holprigen Anreise. Also buchten wir eine zweite Nacht und schauten uns ausgiebig den wunderschönen Ort und die Umgebung an. Das waren definitiv mit die schönsten Ausblicke, die wir auf unsere Reise bisher hatten; das malerische Zentrum mit den svanetischen Türmen, weite Felder mit Kühen und Pferden, die in der Abendsonne grasen und im Hintergrund allgegenwärtig die beeindruckenden 5000er-Gipfel des Kaukasus.
Was uns auch schnell klar war: wir sind nicht bis hierher geradelt, um wieder zurückzufahren – wir fahren über den Zagari Pass. Wir ernteten ein paar kritische Blicke (Erinnerung: Vince‘ Lenker ist immer noch kaputt), entschieden uns dann aber doch dafür, es einfach zu probieren. Im schlimmsten Fall können wir ja immer noch umkehren.
Das Wetter war perfekt, es hatte die letzten Tage nicht geregnet und auch für den kommenden Tag war kein Niederschlag angekündigt. Also hieß es wieder: Start um sieben Uhr morgens und hoffentlich wieder eine wunderschöne Bergetappe. Nur leider klappte das diesmal nicht so gut wie vor zwei Tagen; gleich als wir von unserem Bungalow losfuhren, hatte ich am Hinterrad einen Platten. Beim Reparieren am Straßenrad ist uns ein Fehler mit der Rohloff-Schaltung passiert und mein Fahrrad hatte nun den dritten Gang drin und man konnte nicht mehr schalten. Immerhin war mein Reifen in Ordnung. Wir konnten also fahren!
Und so ging es mit einen halben Lenker und einer kaputten Gangschaltung rauf auf über 2.600 m. Und wir haben es tatsächlich geschafft! Die Straße war, wie wir bereits vorher gelesen hatten, in einem ziemlich schlechten Zustand, aber dafür war viel weniger Verkehr dort als zwischen Mestia und Ushguli. Und nach knapp 10 km bergauf ging es dann auch schon wieder runter. Wir rollten ca. 30 Kilometer, bis wir das erste Guesthouse fanden und dort ein Zimmer für die Nacht nahmen. Vince konnte dort meine Schaltung reparieren und am nächsten Tag konnten wir relaxt weiter fahren.
Es ging weiter bergab Richtung Zageri, wo wir ausnahmsweise mal in einem Hotel und nicht in einem Gasthaus übernachteten. Wir entschieden uns spontan, diese schöne Gegend voller Canyons, Wasserfälle und ruhiger, von Obstbäumen gesäumter Straßen noch ein wenig zu erkunden, bevor es Richtung Hauptstadt geht.
Wir fuhren also nach Martvilli, wo wir uns ein Kloster anschauen wollten. Die Strecke war herrlich, überall Feigen- und Granatapfelbäume und eine wunderschöne Landschaft. Wir fuhren ein paar Kilometer offroad und genossen tolle Ausblicke auf alte Kirchen und die grüne, hügelige Landschaft. Am Abend überraschte uns ein Gewitter, sodass wir uns im Ort wieder ein Gasthaus suchten. Wir landeten bei Sveta und David und durften mal wieder den guten hausgemachten Wein probieren.
Am nächsten Morgen fuhren wir dann rauf zum Kloster und es war wunderschön. Wir waren fast allein dort und hatten Zeit uns die ganze Anlage in Ruhe anzuschauen und Fotos zu machen. Dann kam der weniger angenehme Teil des Tages: es ging weiter nach Kutaisi, die drittgrößte Stadt des Landes und der Verkehr wurde wieder dichter. Außerdem hatten wir starken Gegenwind und zu guter Letzt, wie fast immer, lag unsere Unterkunft am höchsten Punkt der Stadt. Wir kamen also völlig erschöpft im Guesthouse an, freuten uns aber umso mehr auf den nächsten Tag. Wir hatten nämlich eine Besichtigung auf einem Bio-Weingut, natürlich inklusive Verkostung, und Übernachtung gebucht.
Mit diesem Ziel vor Augen, fuhren sich die kurzen 35 Kilometer von Kutaisi zu Baia‘s Wine wie von selbst 😊Selbstverständlich gab‘s kurz vorm Ziel mal wieder ein paar heftige Steigungen, aber des Glas Wein soll ja auch verdient sein. Spoiler: es blieb natürlich nicht bei einem Glas…
Wir wurden herzlich von der Familie empfangen, bekamen zur Begrüßung Obst und Weißwein serviert und dann gab es eine private Führung durch das Weingut. Es war super interessant und wir lernten viel über die georgische Weinkultur. Im Anschluss servierte uns die Gastgeberin ein wahnsinnig tolles Abendessen und wir probierten verschiedene Weine.
Wir fielen überglücklich ins Bett und na, wer ahnt es? Wir buchten spontan eine weitere Nacht auf dem Weingut! Es folgte ein Erholungstag, wir gingen mit dem Familienhund Bingo spazieren (oder er eher mit uns?!) und ruhten uns aus. Gut ausgeschlafen und gestärkt konnten wir am nächsten Tag aufbrechen und endlich Richtung Tiflis radeln.
Was wir in der Hauptstadt alles erleben und wie unsere Reise durch Georgien danach weitergeht, lest ihr im nächsten Artikel.