Spanien Part I oder der wahrgewordene Radler-Albtraum

 

Nach einer Woche Pause in Andorra, wo wir von Vinces Stiefmutter gut bekocht wurden, rollen wir jetzt, Ende Oktober, Richtung Spanien. Erster kleiner Stopp in Seu d Urgell, einer kleinen Stadt mit beeindruckender Kathedrale. Das Wetter ist wechselhaft, Wind und Regen werden uns am Ende des Tages dazu bewegen, uns für unsere erste Nacht in Spanien ein Zimmer zu buchen. Wettertechnisch wird es nicht besser, aber wir ahnen noch nicht, dass in wenigen Tagen eine der tragischsten Klimakatastrophen eintreffen wird, die das Land je gesehen hat. Noch sind wir aber guter Dinge, denn wir haben für die kommenden Tage bereits zwei Zusagen über Warmshowers erhalten.

Unseren zweiten Abend in Spanien verbringen wir bei und mit Oriol, der uns in seiner schönen Wohnung im historischen Gebäude willkommen heißt, inklusive Terrasse mit Blick auf die Kathedrale. Dass wir um zu dieser Unterkunft zu gelangen mal wieder kräftig strampeln müssen, brauchen wir wohl nicht erwähnen. Wir werden abermals gut verköstigt und am nächsten Morgen gibt’s leckeren Kaffee auf besagter Terrasse.

Der nächste Tag wird ziemlich schlammig, da unsere Navigationsapp uns mal wieder auf einen fürs Fahrradfahren weniger geeigneten Pfad schickt. Wir verlieren viel Zeit und Nerven, denn nach dem Durchwaten müssen wir die lehmige, rötliche Erdmasse von Rädern und Schuhwerk entfernen. Abends dann notgedrungen Campen neben der Hauptstraße, aber für den nächsten Tag sind wir bei Sarah und Hugo eingeladen, worüber wir uns sehr freuen.

Als wir in die über Achtzig-Kilometer-Etappe starten, ziehen bereits dunkle Wolken auf. Kurz darauf beginnt ein Starkregen, wie wir ihn lange nicht erlebt haben. Später hören wir in den Nachrichten, dass in Valencia Ausnahmezustand herrscht. Es seien unvorstellbar große Wassermassen heruntergekommen und man geht von vielen Opfern aus. Valencia, das ist die Region, die wir eigentlich ansteuern wollen. Da die schlechten Nachrichten aber nicht abbrechen und weitere schwere Niederschläge angekündigt sind, ändern wir unsere Route und planen erst einmal in den Nationalpark Bardenas Reales und anschließend in die Provinzhauptstadt Zaragoza zu fahren. Dann schauen wir weiter.

Bei Sarah und Hugo verbringen wir einen wunderschönen Abend mit einem köstlichen Abendessen. Am nächsten Morgen bekommen wir ein reichhaltiges Frühstück serviert und Hugo macht uns sogar Sandwiches für unterwegs fertig. Die beiden haben schon viele Radreisen unternommen und wollen im kommenden Jahr wahrscheinlich nach Deutschland reisen. Wir hoffen, dass wir uns dann für ihre tolle Gastfreundschaft revanchieren können.

Wir machen uns also auf Richtung Bardenas Reales. Es geht, wie schon die Tage zuvor, durch relativ flache und unspektakuläre Landschaften vorbei an unzähligen Schweinefarmen. Das Geschrei und der Gestank, der uns von den Ställen entgegenkommt, ist beinah unerträglich. Die Temperaturen sind mild, allerdings ist es regnerisch und oft neblig. So auch, als wir endlich im Nationalpark ankommen. Die beeindruckenden Felsformationen und abgefahrenen Landschaften bekommen wir in dem dichten Nebel erst einmal nicht zu sehen. Ganz umsonst haben wir die über 200 Kilometer Umweg dann aber doch nicht gemacht; die Sonne kommt gegen Mittag durch und wir können noch ein paar Fotos machen. Nun sind es noch zwei Tagesetappen bis nach Zaragoza.

Bequem fahren wir auf Radwegen Richtung Innenstadt, wo sich unsere Unterkunft befindet. Hier haben wir ein paar Tage Pause geplant um uns zu erholen und uns die Stadt anzuschauen. Die Kathedrale ist echt beeindruckend, aber auch die alte Steinbrücke ist sehenswert. Das ist wieder einer dieser Orte, an den wir wahrscheinlich nicht gekommen wären, hätten wir nicht diese Radreise gemacht.

Von Zaragoza aus soll es langsam Richtung Süden gehen. Wir wollen an der längsten Via Verde in Spanien entlang fahren. Die Vias Verdes sind ein Netzwerk aus alten Bahntrassen, die zu Wander- und Fahrradwegen umfunktioniert wurden. Kurz vor der Stadt Teruel erreichen wir dann den besagten Radweg. Aufgrund der Unwetter der letzten Tage sind wir schon etwas skeptisch, ob der Weg überhaupt befahrbar ist. Da wir uns aber vorab ausgiebig informiert haben, trauen wir uns schließlich. Leider waren unsere Zweifel aber doch berechtigt: immer wieder müssen wir heruntergefallenen Felsbrocken ausweichen, mehrmals sogar komplett umkehren und auf die Hauptstraße fahren. Auch das Wetter trägt nicht wirklich zur Besserung der Stimmung bei: nass & kalt. Und die Aussichten für die kommenden Tage sind nicht gerade aufmunternd.

Allerdings lässt uns das schlechte Wetter und das langsame Vorankommen immer wieder schöne Orte entdecken, von denen wir bis dato nicht einmal wussten, dass es sie gibt. So landen wir eines Tages in der kleinen Stadt Teruel, die uns mit ihrer maurischen Architektur beeindruckt. Oder in Segorbe in der valenzianischen Provinz mit ihrem mittelalterlichen Stadtkern inklusive Stadtmauer und Festung. Diese kleinen spanischen Städtchen überraschen und begeistern uns immer wieder mit ihrer Lebendigkeit und ihrem Charme.

Dann geht’s endlich nach Valencia und zum ersten Mal seit unserer Ankunft in Spanien können wir in kurzen Klamotten raus. Es ist nun Mitte November. Die Stadt ist genau so schön, wie wir sie von unserem Urlaub vor fünf Jahren in Erinnerung haben und die Churros con Chocolate schmecken immer noch genau so gut – bzw. sogar noch besser, jetzt wo man allein aus eigener Muskelkraft hierher geradelt ist!

Nächster Stopp ist Oliva ca. 80 Kilometer südlich von Valencia, wo wir unseren Freund Sorin wieder treffen, den wir zu Beginn unserer Reise in Rumänien kennengelernt hatten. Damals hatte er uns zu sich nach Spanien eingeladen und jetzt, fast eineinhalb Jahre später, sind wir tatsächlich hier! Manchmal kommt uns diese Reise unwirklich vor – das ist auf jeden Fall wieder so ein Moment. Sorin überlässt uns großzügig sein Schlafzimmer und bietet uns an, so lange zu bleiben wie wir wollen. Wir verbringen ein paar entspannte Tage zusammen und lassen im Ort unsere Fahrräder und den Anhänger fit machen für die kommenden Monate, denn wir möchten bis nach Andalusien und von dort nach Marokko.

Also geht es weiter Richtung Süden. Entlang der Costa Blanca, die völlig zugebaut und vom Massentourismus überschwemmt ist, über Alicante und Elche geht es landeinwärts zu unserem nächsten Zwischenziel: Big Reds Animal Association. Hier möchten wir uns ein paar Tage um die geretteten Hunde, Katzen und Vögel kümmern, die hier auf die Weitervermittlung an eine liebevolle Familie warten. Im Gegenzug bekommen wir ein eigenes Zimmer und Verpflegung. Die Gründerin des Tierschutzvereins, Suella, macht einen unglaublich tollen Job und tut alles, um ihren Schützlingen ein besseres Leben zu ermöglichen. Wir sind sehr dankbar, diese Erfahrung machen zu können und gehen hochmotiviert an die Arbeit, auch wenn diese zum Teil körperlich anstrengend und nicht immer sehr angenehm ist! 💩 Es ist immer wieder schön, mal etwas anderes als Radfahren zu machen.

Auch Armin fühlt sich pudelwohl und findet schnell seinen Platz zwischen seinen fünfzehn Artgenossen, die hier aktuell leben. Selbst mit den Katzen arrangiert er sich. Während wir unseren täglichen Aufgaben nachgehen, tobt er mit den anderen Hunden im Garten oder macht ein Nickerchen. Nach zehn Tagen heißt es schweren Herzens Abschied nehmen.

Wir starten mal wieder unter erschwerten Bedingungen: Gegenwind mit Böen von 60 km/h. Zwischenstopp in Murcia und dann geht es langsam aber sicher Richtung Andalusien. In einer knappen Woche wollen wir in Granada sein, bevor es danach nochmal in eine kleine Tierschutzorganisation zum Aushelfen geht. Die Strecke durch das andalusische Hochland hat es in sich: über zig Kilometer geht es über steinig-holprige Wege direkt neben der Autobahn. Immer bergauf und bergab, ständig darauf konzentriert, nicht auf den losen Steinen wegzurutschen. Durch die Anspannung schmerzen Nacken und Rücken.

Aber nicht nur das Radfahren in dieser Region wird zur Herausforderung für uns, auch das Campen ist alles andere als angenehm: wir erleben unseren ersten Frost am Zelt. Und das im äußersten Süden Spaniens! Dass Andalusien so feucht und kalt wird, damit hatten wir nicht gerechnet. Zum Glück hatten wir uns in Murcia vorsorglich mit wärmeren Schlafsäcken ausgestattet, sodass zumindest die Nächte im Zelt gemütlich und erholsam waren. Das abendliche Duschen und morgens aus dem Zelt kommen allerdings war wirklich furchtbar. Es kostete echt Überwindung, bei Temperaturen um den Gefrierpunkt die kalte (!) Campingdusche rauszuholen, aber verschwitzt in den Schlafsack zu gehen ist für uns ein absolutes No-Go! Jedenfalls sind wir überglücklich und erleichtert, als wir endlich in Granada ankommen. Sie ist und bleibt für uns eine der schönsten Städte überhaupt.

Ein paar Tage Pause gönnen wir uns hier. Wir besichtigen die Stadt, machen Erledigungen und schauen uns zum krönenden Abschluss eine mitreißende Flamencoshow an.

Dann geht es Richtung Malaga auf eine abgelegene Finca, wo wir uns über Weihnachten und Neujahr um acht Hunde und einen Ziegenbock kümmern werden. Wir werden herzlich von Imke und Micha empfangen, die sich über ein wenig Unterstützung mit den Tieren freuen. Die beiden haben nämlich einen Vollzeitjob und kümmern sich nebenbei um die geretteten Vierbeiner. Auch hier gehen wir wieder voll in unserer Arbeit auf und würden die kleinen Fellnasen am liebsten alle adoptieren. Der Abschied fällt wieder einmal schwer und es wird sogar ein Tränchen verdrückt. Aber wir kommen wieder. Versprochen.

Für uns heißt es nun aber: weiter Richtung Marokko. Ende Januar sind wir mit Vince Cousine in Marrakesch verabredet. Nach einer kurzen Pause in Malaga radeln wir landeinwärts Richtung Ronda. Die Stadt ist bekannt für seine spektakuläre Brücke über der Schlucht El Tajo und bietet traumhafte Ausblicke in die umliegende Landschaft. Es ist gerade mal Anfang Januar, aber die Mandelblüte hat hier bereits begonnen. Wir sind froh, uns gegen die Küstenstraße entschieden zu haben. Natürlich müssen wir mehr Höhenmeter bewältigen, dafür sind die Straßen ruhiger und die Landschaft abwechslungsreicher. Wenn man dann mal etwas davon sieht, denn es ist mal wieder sehr regnerisch und zum Teil auch nebelig.

Wir bewegen uns langsam Richtung Algeciras, wo wir die Fähre nach Ceuta, einer spanischen Enklave auf dem marokkanischen Festland, nehmen werden. Zwischen Ronda und Algeciras staunen wir über die sattgrüne Landschaft und entdecken so eine ganz andere Seite von Andalusien. Es geht über kleine Landstraßen, zum Teil sogar mit Radweg, in die graue Hafenstadt, der wir nicht viel abgewinnen können. Aber wir treffen hier Demba wieder, den wir auf dem Weg nach Granada kennengelernt hatten. Auch er ist radelnd unterwegs und möchte bis nach Senegal. Wir verbringen einen netten Abend zusammen und tauschen uns über unsere Abenteuer und das Unterwegssein aus. Ob wir uns in Marokko erneut begegnen werden?