Tiflis lässt uns nicht los
Nach zwei wunderschönen Tagen bei Baia‘s Familie auf dem Weingut war dann schnell Schluss mit der Idylle. Wir radelten noch ein paar Kilometer raus aus dem Tal und kamen bald auf eine viel befahrene, staubige Straße. Das musste wohl die Hauptverkehrsader zwischen der Küste und der Hauptstadt sein. Aber wir hatten keine Wahl, denn unser Apartment in Tiflis war bereits fest gebucht und wir konnten uns keine großen Umwege leisten. Also Augen zu und durch!
Diese Straße ist wirklich der Albtraum jedes Radfahrers: wilder Verkehr Tag und Nacht, Staub ohne Ende, natürlich ging es bergauf und dann hatten wir noch krassen Gegenwind. Das Gehupe der Autos und LKW war irgendwann nur noch sehr schwer zu ertragen. Zwischendurch mussten wir sogar absteigen und schieben, weil die Kombi aus Wind, Staub und Verkehr dazu führten, dass wir kaum noch etwas sehen konnten.
Und zu guter Letzt wartete noch ein ganz besonderes Schmankerl auf uns: ein zwei Kilometer langer Tunnel. Nach vier Monaten Radreise können wir sagen: das war eine der schlimmsten, wenn nicht sogar DIE schlimmste Strecke unserer bisherigen Reise.
Hinter dem Tunnel ging es dann glücklicherweise bergab und bald konnten wir diese grauenhafte Straße verlassen. Und der kommende Abschnitt entschädigte uns für all die Strapazen; wir fuhren wieder über eine ruhige (aber asphaltierte!) Landstraße, gesäumt von Obstbäumen und im Hintergrund konnten wir die schneebedeckten Gipfel des Kaukasus in der Ferne sehen. Wir rätselten, wo genau wohl der Zagari Pass liegt, den wir ein paar Tage zuvor überquert hatten.
Wir übernachteten in der Stadt Gori, besichtigten die Festung und machten abends noch einen Spaziergang durch die Altstadt. Tags darauf ging es morgens in die Grottenstadt Uplistsikhe, eine der ältesten ihrer Art und eine der ältesten menschlichen Siedlungen Georgiens. Nicht nur die Grottenstadt selbst, sondern die gesamte Umgebung ist sehr beeindruckend. War die Landschaft ein paar Kilometer zuvor noch grün und geprägt von üppiger Vegetation, waren wir auf einmal in einer Art Halbwüste; steppenartige Landschaften und Canyons so weit das Auge reicht. Und auch außerhalb von Uplistsikhe erspähten wir immer wieder in die Felsen gebaute Höhlen.
Wir nahmen einen kleinen unbefestigten Weg am Fluss entlang, um in Ruhe und ohne störenden Verkehr die Landschaft zu bewundern. Da tauchen auf einmal hinter uns zwei Radreisende auf – ein Pärchen aus Straßburg, das auch nach Tiflis unterwegs ist. Wir unterhalten uns und stellen fest, dass die beiden in Eskisehir in der Türkei bei dem gleichen Warmshowers Host waren wie wir. Wie klein die Welt doch ist!
Wir radeln den Nachmittag gemeinsam und schlagen abends sogar zusammen unser Lager auf. Am nächsten Morgen geht es dann endlich nach Tiflis und wir freuen uns riesig! Auf dem Weg dorthin treffen wir noch Finn, den wir in der Türkei kennengelernt hatten. Natürlich mussten wir uns in Tiflis verabreden und zusammen ausgehen, aber erst einmal hatten wir alle eine Priorität: unsere Unterkünfte beziehen und DUSCHEN!!! 😊
Dann folgte eine wunderschöne Woche in Tiflis. Die Stadt hat uns total überrascht und verzaubert. So viel Geschichte, Überreste der alten Stadtmauer, alte Kirchen und sogar eine Moschee! Ganz zu schweigen von den tollen Ausgehmöglichkeiten: Weinbars, Cafés und Restaurants ohne Ende. Gut, dass wir eine ganze Woche eingeplant hatten und uns so durch die Stadt probieren konnten. Wir schauten uns also die Stadt an, trafen uns ein paar Mal mit unseren neuen Freunden und erledigten organisatorisches, u.a. Beantragung unseres Iran-Visums und Reparatur der Räder (naja, hauptsächlich Vincents Rad)…
Die ersten paar Tage genossen wir in vollen Zügen. Dann wurden wir langsam nervös, da der versprochene Rückruf des Fahrradladens nicht kam. Und dahin war das entspannte In-den-Tag-hinein-Leben und herumschlendern in der Hauptstadt. Erst war der Shop nicht erreichbar, dann hatten wir nicht die verantwortliche Person am Apparat und so ging es tagelang und immer wieder wurden wir vertröstet. Die Kommunikation war unterirdisch! Wir bekamen keine klare Auskunft und immer hieß es „morgen könnt ihr die Räder holen“.
Nach weiteren vier (!) Tagen sollten die Fahrräder dann endlich fertig sein. Als wir zur vereinbarten Zeit im Shop ankamen, wurde uns mitgeteilt, dass die Bremse an Vince’ Fahrrad nicht funktioniert. Hätte man uns das nicht am Telefon sagen können?! Die horrende Rechnung sollten wir übrigens trotzdem bezahlen, sie hätten ja versucht es zu reparieren.
Wir waren fertig mit den Nerven: wir mussten bereits die zusätzlichen Übernachtungen bezahlen, eine neue, kompetente Werkstatt suchen und hier sollten wir nun auch noch zahlen. Nach ca. 1,5 Stunden Diskussion konnten wir den Laden endlich verlassen (mit einem kleinen Rabatt, vielen Dank auch) und uns auf die Suche nach einer anderen Werkstatt machen. Am Sonntag. Um 19 Uhr. Aber das ist das Gute in Georgien: fast alles hat sieben Tage die Woche geöffnet und meist bis spät abends. Wir wurden tatsächlich fündig – vielen Dank und riesengroßes Lob noch einmal an bikes.ge und insbesondere an David, den besten Mann – und unsere Räder wurden innerhalb von zwei Tagen wieder fit gemacht.
Die letzten Tage waren so kräftezehrend, dass wir uns dazu entschieden, noch zwei Nächte zu bleiben, um uns einen richtigen Pausentag zu gönnen, bevor es wieder in den Sattel geht. Und im Endeffekt müssen wir sagen: was für ein Glück, dass wir mit der ersten Werkstatt so ein Pech hatten! Denn dadurch hatten wir die Chance, Tiflis noch einmal ganz anders kennen zu lernen. Waren wir während unserer ersten „regulären“ Woche in der von Touristen überlaufenen – allerdings auch bildschönen – Altstadt, lagen unsere Unterkünfte in der zweiten Woche gut zwei Kilometer entfernt vom historischen Stadtzentrum in einem authentischeren Viertel in der Nähe der Metro-Station Rustaveli.
Trotz aller Widrigkeiten genossen wir die Zeit hier sehr und waren letztendlich froh, auch diese Seite von Tiflis erleben zu dürfen. Wir entdeckten tolle Cafés, Delikatessengeschäfte und sogar eine Bio-Bäckerei! Wir hatten noch einmal die Gelegenheit, uns mit dem lieben Finn zu treffen und einen alkoholfreien Cocktail mit Sauerampfer zu probieren 😊Natürlich mussten auch die veganen Lokale in der Umgebung getestet werden. Und davon gibt es in Rustaveli gar nicht mal so wenige!
Abschließend können wir sagen, dass Tiflis unsere Erwartungen definitiv übertroffen hat! So richtige Erwartungen hatten wir aber auch nicht. Die Stadt überraschte uns mit ihrer Vielfältigkeit und Lebendigkeit. Auch wenn die Georgier im Allgemeinen eher in sich gekehrt und nicht für ihre Freundlichkeit bekannt sind, trafen wir viele liebe Menschen hier, z.B. Nika, unseren Guide bei einer Free Walking Tour oder Adam, den Kellner, der uns viel über seine Stadt erzählte.
Es war die längste Pause auf unserer Radreise bislang und vielleicht sollte es einfach so sein. Wir sind jedenfalls überglücklich, für fast zwei Wochen in das Stadtleben eingetaucht zu sein und starten voller Energie in Richtung Armenien. Erst machen wir aber noch einen kleinen Abstecher nach Kachetien, denn da soll es den besten Wein des Landes geben und das können wir uns natürlich nicht entgehen lassen!
Also radeln wir aus der Hauptstadt raus Richtung Osten. Erst auf der vielbefahrenen Bundesstraße, dann aber biegen wir ab auf eine kleinere und viel ruhigere Straße, wo wir auch einen guten Campingspot für die Nacht finden.
Tags darauf geht es nochmal gut bergauf, bevor wir unser erstes Ziel in der Region Kachetien erreichen: Telawi. Das Städtchen liegt in einer der bekanntesten Weinregionen des Landes und hier sollen wir die Nacht in einem netten Gasthaus verbringen. Auf dem Abendprogramm steht ein kleiner Spaziergang durch die Altstadt und dann stoßen wir zufällig auf ein ansprechendes Restaurant, wo wir spontan zu Abend essen.
Nach dem schönen, aber kurzen Stopp in Telawi geht es weiter Richtung Sighnaghi, dem Hauptort der Region Kachetien. In zwei Tagesetappen wollen wir dort ankommen. An Tag eins scheint alles easy, denn es gibt kaum Höhenmeter und es rollt anfangs echt gut. Bei der Suche nach einem Campingspot wird es allerdings schwieriger. Es könnte in der Nacht eventuell regnen und so müssen wir uns gut überlegen, wo wir unser Zelt aufstellen.
Nachdem uns auffällt, dass wir einen 15 Kilometer langen Umweg gefahren sind, kippt die Stimmung und irgendwann sind wir beide nur noch genervt. Was nicht gerade förderlich für die Schlafplatzsuche ist. Wir stellen unser Zelt schnell am Rande eines Feldes auf, denn die Gewitterwolken kommen schon jetzt näher.
Gerade im Zelt, fängt es auch schon an zu regnen und zu gewittern. Der Regen wird stärker und stärker und ich bekomme irgendwann Angst, dass unser Zelt dem Wasserdruck nicht mehr lange Stand hält. Zumal es auch schon anfängt, an einer Stelle zu tropfen.
Am nächsten Morgen steht das Zelt noch, aber alles ist total matschig und schlammig. Mit so einem Unwetter hatten wir nicht gerechnet. Und die Fahrräder! Gerade noch in Tiflis geputzt und – mal wieder – alles umsonst.
Nun heißt es, kilometerweit durch den Matsch, bis wir wieder zur asphaltierten Straße kommen. Dann steht uns noch einmal ein zehn Kilometer langer Anstieg bevor, bis wir völlig erschöpft und müde in Sighnaghi ankommen. Wir haben uns hier für drei Nächte ein Zimmer in einem Gasthaus gebucht und werden freundlich empfangen. Da wir die einzigen Gäste sind, haben wir das ganze Haus mehr oder weniger für uns.
Das kleine Städtchen ist ein richtiger Touristenmagnet und wohl einer der meist besuchten Orte Georgiens. Natürlich nicht ohne Grund: der Ausblick in die weite Landschaft ist einfach traumhaft. Dazu noch der gute Wein – hier kann man es aushalten. Das Wetter wird dann auch einmal sommerlich, obwohl es bereits Ende September ist. So genießen wir die Pausentage und probieren uns durch die verschiedenen Weinsorten der Region.
Von hier aus wollen wir nach Armenien. Wir haben nun anderthalb Monate in Georgien verbracht und haben richtig Lust auf etwas Neues. Da die Landgrenzen zu Aserbaidschan aktuell geschlossen sind und die Grenzregion zwischen Armenien und Aserbaidschan als gefährlich gilt, müssen wir noch einmal zurück Richtung Tiflis, um dann zur nächstgelegenen Grenze nach Armenien zu radeln.
Es geht weiter vorbei an vielen Weingütern und Tschurtschela-Ständen. Das sind georgische Süßigkeiten aus Traubensaft und Nüssen. Mega lecker übrigens. Wir wissen nicht, wie viele wir davon in den sechs Wochen in Georgien vernichtet haben! Aus der ruhigen Land- wird wieder die staubige und laute Hauptstraße – sicher nicht der schönste Streckenabschnitt.
Zu allem Übel verfahren wir uns auch noch und aus der Nacht im Zelt nahe der armenischen Grenze wird heute nichts. Es verschlägt uns noch einmal nach Tiflis, wenn auch nur an den Stadtrand. Es scheint, als würde uns diese Stadt nicht gehen lassen wollen!
Am nächsten Tag bleiben uns dann noch 70 Kilometer, bis wir in Land Nummer zehn ankommen. Wir merken, dass wir lang genug in Georgien waren und wir langsam wieder neuen Input brauchen. Die eineinhalb Monate hier wollen wir aber auf keinen Fall missen! Von der feucht-schwülen Küste über die imposante Bergwelt Svanetiens, die vielseitige Hauptstadt Tiflis sowie die verschiedenen Weinregionen haben wir so viel gesehen und erlebt.
Nun geht es in ein Land, von dem wir noch weniger wissen, als wir über Georgien wussten. Armenien. Wir wollen das Land von Norden nach Süden durchqueren. Einen wichtigen Termin haben wir: in der Hauptstadt Jerewan sollen wir unser Visum für den Iran abholen. Gespannt auf so viel Unbekanntes radeln wir der armenischen Grenze entgegen und verabschieden uns nun endgültig von Georgien.