Malerisches Meghri


Nachdem wir nun den kleinen Armin abgegeben hatten, wartete eine unserer herausforderndsten Etappen auf uns: der Meghri-Pass. 2.530 Meter über dem Meeresspiegel. Die letzte große Challenge, bevor es über die Grenze in den Iran geht. Schon von Weitem konnten wir die schneebedeckten Gipfel sehen. Eine ganze Woche waren wir in Kapan geblieben und mittlerweile war es schon Ende Oktober und die Temperaturen hier oben in den Bergen gingen herunter.

Uns wurde aber schnell warm, immerhin ging es fast 30 Kilometer nur bergauf. Zum Glück war das Wetter an dem Tag gut, sodass wir ohne Probleme über den Pass kamen. Anstrengend war es aber allemal! 1.800 Höhenmeter an einem Tag, unser Rekord! Ganze sechs Stunden brauchten wir, bis wir oben angekommen waren. Schnell eine Snackpause eingelegt, dann ging es bergab. Wir mussten uns beeilen, wenn wir noch vor Sonnenuntergang unten im Ort ankommen wollten.  

Beim Herabrollen ist die Sonne bereits hinter den Bergen verschwunden und es ist eisig kalt. Als wir unten ankommen, spüren wir unsere Hände kaum noch. Die Landschaft war auf einmal komplett verändert, die Region wirkte fast schon mediterran. Überall wo wir hinschauten, Obstplantagen über Obstplantagen und an den Bäumen hingen die reifen, leuchtend orangen Kakis. Im Hintergrund die beeindruckenden Berge, die wir soeben überwunden hatten.

Völlig erschöpft kommen wir in Meghri an und freuen uns auf eine warme Dusche und ein bequemes Bett im gebuchten Gasthaus. Bei unserer Ankunft weiß aber angeblich keiner etwas von unserer Reservierung. Ich zeige die Buchungsbestätigung, aber ohne Erfolg: für heute gibt es hier kein Zimmer für uns. Es ist doch verhext! Nach den krassesten Bergetappen gibt es immer Ärger mit der Unterkunft. Das Gleiche ist uns doch vor zwei Monaten schon in Ushguli passiert!

Immerhin ist die Familie so freundlich und organisiert uns ein Zimmer bei einer befreundeten Pension. Dass diese Unterkunft überhaupt nicht mit dem vergleichbar ist, was wir gebucht hatten, ist uns am Ende auch egal, Hauptsache wir können uns waschen und drinnen schlafen.

Am nächsten Tag können wir dann in unserem eigentlich gebuchten Guesthouse einchecken und es stellt sich heraus, dass es am Tag zuvor einen familiären Notfall gab und man uns deshalb nicht beherbergen konnte. Dafür haben wir natürlich Verständnis und nun können wir unsere letzten Tage in Armenien doch noch richtig genießen.

Und wir sind so froh, dass wir hier nochmal eine kleine Pause einlegen, bevor es in den Iran geht. Wir entdecken Armenien, das Land, was uns sowieso schon total begeistert hat, nochmal von einer ganz anderen Seite. Meghri ist ein richtig hübscher Ort, man kann schon sagen malerisch. Das alte Kloster, verlassene Ruinen und der Fluss, der die kleine Stadt in zwei Hälften teilt machen Meghri zu einem richtigen Hingucker.

Es macht Spaß, über kleine Gassen und Trampelpfade die Umgebung zu erkunden und den besten Aussichtspunkt zu finden. Meghri liegt nämlich in einem Tal und ist rundherum umgeben von Bergen. Fotomotive gibt es also allerhand. Und das Klima! Wir fühlen uns, als wäre der Sommer zurückgekehrt. Bei gut 20 Grad und prallem Sonnenschein kommen wir auf unserer Erkundungstour schon fast wieder ins Schwitzen.

Aber Meghri hat noch mehr zu bieten. Wir befinden uns in der armenischen Hauptstadt der Trockenfrüchte. Und es ist gerade Hochsaison. Besser hätte es für uns nicht laufen können! Getrocknetes Obst ist einer unserer liebsten Snacks auf Radreisen (und auch generell) und das gibt es hier in Hülle und Fülle. Besonders ins Auge stechen uns die Kakis, die überall auf Balkonen und Terrassen zum Trocknen hängen. Das scheint die Spezialität der Region zu sein.

Auch unsere Gastgeberin hat eine kleine Produktion in ihrem Garten und so sind wir hautnah dabei und lassen uns den Prozess von ihr erklären. Die Früchte werden tatsächlich nur geschält, aufgefädelt und zum Trocknen in die Sonne gehängt. Unglaublich, dass dabei ein so leckeres Endprodukt herauskommt. Selbstverständlich decken wir uns mit einer guten Portion getrockneten Kakis und Feigen ein für unsere ersten Tage im Iran. Es wird nämlich bis in die erste große Stadt auf unserer Route kaum Einkaufsmöglichkeiten geben.

Auf unserem Streifzug durch die Stadt wird unsere Aufmerksamkeit auf einen kleinen Süßigkeitsladen gezogen. Aber nicht irgendwelche Süßigkeiten. Die junge Besitzerin stellt aus den getrockneten Früchten von hier, knackigen Nüssen und hochwertiger Schokolade 100 % natürliche Köstlichkeiten her. Das müssen wir natürlich probieren! Und auch hier wieder ein Volltreffer: genau unser Geschmack. Das Dessert für heute Abend haben wir also schonmal 😊

Um unseren letzten Abend in Armenien ausklingen zu lassen essen wir auf einer idyllischen Terrasse an Fluss. Es gibt lecker gegrilltes Gemüse, frisches armenisches Lavash-Brot und natürlich eine gute Flasche Wein. Denn für die kommenden sechs Wochen wird Alkohol ein absolutes Tabu sein. Nach insgesamt zweieinhalb Monaten in Georgien und Armenien wird uns (und unserer Leber) diese Auszeit wohl ganz gut tun.

Zum krönenden Abschluss gibt es in unserer Unterkunft noch einen hausgemachten Vodka und wir genießen die am Nachmittag gekauften süßen Leckereien. Am nächsten Tag heißt es früh aufstehen, denn der Grenzübergang in den Iran steht an. Nur noch wenige Kilometer trennen uns von Land Nummer elf auf unserer Reise und wir radeln mit gemischten Gefühlen der Grenze entgegen.

Werden wir in gut sechs Wochen tatsächlich nach Armenien zurückkehren, um unseren kleinen Armin abzuholen? Wir vermissen ihn schon jetzt, aber war es wirklich die richtige Entscheidung, ihn zu adoptieren? Was, wenn es uns im Iran so gut gefällt, dass wir länger bleiben möchten? Immerhin haben wir schon von so vielen Reisenden gehört, dass sie ihr Herz an dieses Land verloren haben.