Hitzewelle in Zentralanatolien


Aus Istanbul raus, auf der anderen Seite des Marmarameeres in Mudanya angekommen, überlegen wir weiter hin und her, ob wir unsere Reise nun nach Osten oder Westen fortsetzen sollen. Da wir zu keinem Entschluss kommen, hatten wir die Idee: wir werfen eine Münze. Ja, wir haben tatsächlich eine Münze darüber entscheiden lassen, wo wir die nächsten Monate verbringen! Wir werfen dreimal und es ist eindeutig: es geht Richtung Osten.

Wir verbringen die Nacht in einem netten kleinen Hotel am Meer in Mudanya, um die grobe Route zu planen. Wir wollen einmal komplett die Türkei durchqueren. Mittendurch. Wir haben gelernt, uns kleinere Ziele zu setzen und legen so die erste Etappe fest: es soll ins knapp 200 Kilometer entfernte Eskisehir gehen, wo wir uns einen Warmshowers Host organisieren konnten. Doppelte Motivation also.

Die Hitzewelle, die bereits ganz Europa im Griff hat, schwappt nun auch zu uns rüber. Bislang waren wir verschont geblieben und hatten auch in Istanbul noch erträgliche Temperaturen etwas über dreißig Grad. Nun sollte das Thermometer aber täglich auf über vierzig Grad klettern und wir mussten unseren Tagesablauf anpassen. Jeden Morgen klingelte nun der Wecker um fünf Uhr, sodass wir spätestens um sieben Uhr im Sattel saßen.

Bereits vormittags wurde es so heiß, dass wir die Steigungen nur mit Ach und Krach schafften und den Tag meistens schon am frühen Nachmittag beendeten oder eine sehr lange Mittagspause einlegten.

Aber direkt am ersten Abend wurden wir positiv überrascht. Als wir zwischen Obstplantagen nach einem Platz zum Zelten suchten, trafen wir Ufuk, der zufällig Deutsch spricht. Er lädt uns ein, das Zelt hinter seinem Haus aufzustellen – Strom und Wasser inklusive! Und als wäre das nicht schon mehr als genug, ruft uns Ufuks Mutter auf die Terrasse zum Tee. Dazu gibt es süße und salzige Snacks und natürlich wird immer wieder Cay nachgefüllt, so wie wir es nun schon aus der Türkei kennen. Danke noch einmal, Ufuk und Hadice, für den schönen Abend bei euch!

Am nächsten Tag wartet die nächste Überraschung auf uns. Als wir mal wieder völlig ermüdet und durchgeschwitzt auf der Suche nach Abkühlung sind, setzten wir uns in das einzige Café, das wir im Dorf finden. Wir wissen noch nicht, dass wir es nicht nur mit einem Cafébesitzer, sondern mit einem Comedian zu tun haben, der aus dem Gästebesuch gern eine große Show macht.

Wir, als ahnungslose Touristen aus dem Ausland, sind natürlich die perfekten Opfer. Leider ist uns gar nicht nach Humor zumute und wir wollen einfach nur entspannen. Daraus wird aber nichts! Nach ein paar flachen Gags wie einer falschen umgekippten Kaffeetasse geht es ans Verkleiden und es wird immer unangenehmer. Alle Besucher, ausschließlich Männer, haben ihre Augen auf uns gerichtet und amüsieren sich prächtig. Vince muss alle möglichen Kopfbedeckungen ausprobieren und wir fühlen uns sichtlich unwohl.

Außerdem werde ich langsam krank. Ich vertrage die Hitze nicht und wir machen uns Gedanken, wie wir die Reise unter diesen Umständen fortsetzen sollen. Die gute Nachricht: noch zwei Radeltage und wir werden in Eskisehir bei Ali ankommen. Also heißt es wieder: früh aufstehen, in die Pedale treten und so viel wie möglich am Morgen schaffen. An diesem Tag endet unsere Etappe bereits um 11 Uhr nach vierzig Kilometern.

In einem Park finden wir ein Café mit einladender schattiger Terrasse. Drum herum spritzen Wasserfontänen aus einem Becken. Eine richtige Oase! Hier könnten wir glatt den ganzen Tag verbringen – was wir letztendlich auch tun. Es gibt Eiskaffee, Lavendellimonade und Snacks. Wir laden unsere Geräte auf und schauen auf der Karte nach einem möglichen Campspot.

Am späten Nachmittag fahren wir aus der Kleinstadt heraus auf einen Hügel, der leicht bewaldet und umgeben von Sonnenblumenfeldern ist. Unser Platz für die Nacht. Außer einem Schäfer mit seiner Herde kommt niemand vorbei und wir verbringen eine ruhige Nacht.

Leider wird meine Erkältung schlimmer. Aber wir kommen ja heute in Eskisehir an, wo ich mich etwas ausruhen kann. Die letzte Etappe ist entspannt, es geht über kleine Straßen durch die Pampa, in einem Dorf ist gerade Markt und wir bekommen ein bisschen Gemüse geschenkt. Schon gegen Mittag kommen wir an unserem Ziel an und setzen uns an den Fluss, bevor wir uns am Nachmittag auf den Weg zu unserem Gastgeber machen.

Trotz Erkältung verbringen wir drei schöne Tage mit Ali und seiner Freundin Seval. Sie zeigen uns ihre Stadt und die Umgebung. Wir gehen toll essen und genießen den ein oder anderen Eiskaffee. Eskisehir ist eine echte Studentenstadt und wirkt sehr lebendig. Überall gibt es Bars und Cafés und auch als Frau kann man sich hier leicht bekleidet raus trauen (was nicht überall in der Türkei der Fall ist). Überall sieht man junge Mädchen in Shorts und mit bauchfreien Tops.

Aus der geplanten einen Nacht werden drei und wir machen uns Gedanken über die Weiterreise. Die Hitzewelle lässt nicht ab und ich fühle mich nach wie vor nicht fit. Wir treffen eine Entscheidung: wir nehmen einen Bus nach Ankara und von dort aus noch einen an die Schwarzmeerküste.

Unser Plan, durch Zentral- und Ostanatolien zu radeln, dahin. Aber unter diesen Bedingungen macht es einfach keinen Sinn, uns weiter zu quälen. Und so ist das nun einmal auf Radreise: man passt sich den Umständen an und ändert seine Pläne eben öfter mal.

Die Busfahrt in die türkische Hauptstadt verläuft reibungslos und auch unsere Räder kommen unversehrt an. Ankara selbst gefällt uns überhaupt nicht. Bei 43 Grad macht aber wahrscheinlich keine Stadt so richtig Spaß.

Vor der nächsten Busfahrt – diesmal mit einem anderen Unternehmen, dem türkischen Flixbus – gibt es erstmal Diskussionen um die Fahrräder. Erst will man uns gar nicht mitnehmen, dann wird ein unverschämt hoher Preis verlangt. Zum Glück gibt es auch hier wieder hilfsbereite Menschen, die uns zur Seite stehen und mit dem Busfahrer, der natürlich kein Englisch spricht, verhandeln.

Am Ende geht alles gut – auch wenn der Bus wegen uns erst zehn Minuten später abfahren kann, weil wir doch noch ein extra Ticket für die Fahrräder kaufen müssen – und nach neun Stunden kommen wir in Fatsa an der Nordküste der Türkei an. Die Suche nach unserer Unterkunft im Dunkeln wird noch einmal zur kleinen Herausforderung, aber dann haben wir es geschafft.

Am nächsten Tag lassen wir es ruhig angehen und erkunden die Umgebung. Das Klima ist hier viel angenehmer, um die 25 Grad, und wir bereuen unsere Entscheidung nicht. Wir wollen an der Küste entlang nach Georgien radeln.

Leider besteht dieser knapp 400 Kilometer lange Abschnitt fast nur aus Autobahn und Tunneln, aber die ersten dreißig Kilometer können wir beides umgehen, indem wir auf eine kleine Halbinsel fahren. Hier ist es ruhig, es gibt tolle Strände und wir treffen seit langem mal wieder einen anderen Radreisenden, Finn aus Oldenburg. Wir treffen ihn zweimal und sind uns sicher, es wird auch ein drittes Wiedersehen geben, denn Finn ist auch Richtung Georgien unterwegs.

Etwas, was wir an der Türkei besonders lieben, ist dass das Wildcampen so einfach ist. Zwischen den Ortschaften gibt es oft viel unbewohntes Gebiet, wo man ungestört übernachten kann. Hier an der Nordküste finden wir aber auch günstige Campingplätze und einmal schlafen wir sogar in den Ruinen einer Burg. Immer ungestört, immer fühlen wir uns sicher. An unserem vorletzten Tag in der Türkei lädt uns ein Imam ein, in einem Zimmer der Moschee zu schlafen.

Nur am letzten Abend, bevor es nach Georgien geht, haben wir weniger Glück. Vince ist nicht fit und somit kommt Zelten heute nicht in Frage. Wir kommen in der kleinen Stadt Findikli an, wo es tatsächlich ein veganes Restaurant geben soll – womöglich das Einzige an der gesamten Küste!

Also suchen wir uns in diesem Ort direkt ein Hotelzimmer. Völlig überteuert und auch nicht gerade fahrradfreundlich, aber nun gut. Die Enttäuschung über die Unterkunft wird aber wieder wett gemacht durch den tollen Abend im Conguito, dem veganen Restaurant. Ok, es ist eher ein Fastfood-Laden, aber der Besitzer ist so nett und engagiert sich so für die Tiere, wir sind begeistert. Am Ende schenkt er uns noch drei Pakete Tofu! Das letzte Mal gab es Tofu in Istanbul, und selbst dort mussten wir ans andere Ende der Stadt, um dran zu kommen.

Der Proviant für die letzten Kilometer bis nach Georgien war also schonmal eingepackt und so ging es durch schier endlose Tunnel und vorbei an hunderten LKW Richtung Land Nummer neun unserer Reise.

So schön es in der Türkei auch war, nach mehr als einem Monat hier waren wir mehr als bereit für etwas Neues. Wir hatten große Erwartungen: spektakuläre Bergwelten, die wunderschöne Hauptstadt Tiflis und natürlich der gute georgische Wein. Auf den freuten wir uns besonders nach mehr oder weniger einem Monat Abstinenz in der Türkei. Sollte unser Aufenthalt in Georgien wirklich so traumhaft werden, wie wir es uns vorstellten? Und wie geht es danach weiter? Werden wir tatsächlich in den Iran reisen, das Land, um den so viele Reisende einen großen Bogen machen?